GefühleGedanken an den Dschungel
Nun, was stellt sich die Durchschnitts-Bürgerin bzw. der Durchschnitts-Bürger vor, wenn er an Dschungel denkt?
Er denkt an Bäume, hohe Bäume. An viele Bäume, eben an Wald, an einen undurchdringlichen Wald. Er denkt an Bäume so hoch, dass die Sonne nicht zu sehen ist. Bäume so dicht, dass eine Machete (eine Art Säbel) gebraucht wird, um sich durch das Dickicht zu schlagen. Natürlich viele Lianen, kreuz und quer. Und dann die Luftfeuchtigkeit. Ui – sehr hoch – sehr feucht. Es ergeben sich peinlich deutliche Schwitzflecken unter den Achseln, auf dem Hemd bzw. der Bluse. Und tellergroße Schwitzflecken auf dem Rücken und auf der Brust. Schweißperlen stehen auf der Stirn, das Gesicht glänzt feucht. Der Körper ist klitschnass. Die Kleidung klebt am Körper. Die Schuhe scheinen sich tonnenschwer durch den modrigen und glitschigen Matsch zu quälen.
Und dann: es schwirrt überall. Fliegen, Mücken, Käfer, teilweise so klein, dass sie nur als dunkle Pünktchen auf der Kleidung zu erkennen sind.
Dauernd muss mit der Hand gewedelt werden, um hinderliche Insekten zu verscheuchen. Immer mal wieder muss ein scharfer Luftstoß durch die Lippen gepresst werden, um die lästigen Insekten, die sich auf der Lippe und der Oberlippe niedergelassen haben, zumindest ein paar Sekunden, zu verscheuchen. Dauernd entsteht das Gefühl, dass sich ein listiges und ärgerliches Insekt unter den Hemdkragen verirrt hat. Es juckt und beißt hier und dort, genaugenommen überall.
Und schließlich die Geräusche. Überall zischt, zirpt und züngelt es. Gellendes Gekreische unterbricht die sowieso schon mächtige Geräuschkulisse. Es quakt und knackt an allen Seiten, vorn, aber auch hinten, so dass sich keiner sicher sein kann, wer oder was sich hinterlistig um einen tummelt.
Und hat sich nicht eben dort vorne etwas bewegt? Hier knackt es ganz deutlich. Plötzlich das irre Kreischen wild aufflatternder Paradiesvögel und bunter Papageien.
Dabei ist es ziemlich beruhigend zu wissen, dass sich die meisten Gift- und Würgeschlangen nicht die Bohne um den Menschen kümmern. Aber wissen das die Schlangen auch wirklich? Die zarten, schlanken, aber blitzschnellen Giftschlangen, die harmlos an den Ästen herunterhängen? Und dann blitzschnell auf das Opfer zustoßen. Ein kurzer, kräftiger, knackender Biss, kaum mehr als eine kleine Betäubungspritze beim Zahnarzt – und schon wird alles um einen herum wohlig und warm. Bizarre Farben und Formen bilden sich vor den Augen. Ein Gefühl der unendlichen Freiheit, der Unbesorgtheit, stellt sich ein. Das schwache Licht, das das dichte Blätterdach durchlässt, wird immer diffuser. Die vielfältigen Geräusche treten in den Hintergrund der Gefühlswahrnehmungen. Eine seltsame, beruhigende Schwere im Körper stellt sich ein. Ein Lächeln huscht auf das Gesicht. Ein letzter Atemhauch entwindet zwischen den blässlichen, bläulichen Lippen.
Tja, das war’s dann wohl mit der Expedition durch den Dschungel. Die Würgeschlangen müssen auf ein anderes Opfer warten. Die mit vielen Pflanzen überwucherten steinalten Monumental- und Ritualbauten müssen auf den nächsten mutigen Entdecker warten. Sie harren sowieso schon Jahrzehnte, teilweise Jahrhunderte aus. Da kommt es auf ein Menschenleben nicht an.
Dschungel und Regenwald
In der uralten Hindi-Sprache, die überwiegend im Norden und in der Mitte Indiens gesprochen wird, gibt es das Wort ‚jangal‘. Dieses Wort findet seinen Ursprung in dem altindischen Sanskrit-Wort ‚jangala‘. Und dieses Wort stand für ein Gebiet, das nicht wertvoll genug erschien, bearbeitet zu werden. Konkret stand es für die Wild¬nis, die Wüste, den Wald ganz allgemein, aber auch für Ödland, für alle Landstriche, die für den früheren Menschen unfruchtbar waren bzw. auf denen nichts anzubauen war. Später besetzten die Briten die indischen Gebiete. Und wie das oft so ist, werden bestimmte Begriffe in die eigene Sprache übernommen. Die dort lebenden Briten, kreierten aus ‚jangal‘ das englische Wort ‚jungle‘, mit dem sie den subtropischen Monsunwald bezeichneten. Daraus entstand das bei uns gebräuchliche Wort Dschungel.
Dschungel im übertragenen Sinn
Im Sprachgebrauch wird häufig das Wort Dschungel angewendet. Nämlich dann, wenn wir uns – bildhaft gesprochen – auf undurchschaubarem Gebiet befinden. Das gilt für den Großstadtdschungel. Die vielen verschlungen wirkenden Wege, viel Lärm, viele Menschen; jeder geht seinen Weg, ohne sich um den anderen zu kümmern. Trotzdem hängt ‚irgendwie‘ alles zusammen. Und alles funktioniert ‚irgendwie‘.
Und dann gilt es den Paragrafendschungel zu erwähnen. Das Undurchschaubare im Wirrwarr der Paragrafen und der Gesetzgebung. Nur Eingeweihte kennen sich aus. Bekannterweise bekommt nicht der Recht, der Recht hat, sondern der einen rhetorisch besser geschulten Anwalt beauftragen konnte.
Dieser Anwalt versteht es blendend, die Paragraphen so auszulegen, dass sie für seinen Mandanten die beste Lösung darstellen. Pech haben diejenigen, die sich einen nicht allzu versierten Anwalt genommen haben.
Und schließlich reden wir von einem ‚Gesetz des Dschungels‘. Dieses beschreibt, dass das Recht des Stärkeren gilt; Fressen und Gefressen werden. Recht animalisch.
Literatur zum Thema: Dschungel-Knigge 2100